
Sind vegetarische/vegane Lebensmittelhersteller die besseren Sachversicherungsrisiken?
Ausgabe: January 2021 PDF herunterladen Deutsch English Von Leo Ronken, Property/Casualty Senior Consulting Underwriter, Cologne Property
Der Trend zu vegetarischem und veganem Essen wird immer stärker, mit dem Ergebnis, dass immer mehr Unternehmen in die Produktion vegetarischer und veganer Lebensmittel einsteigen. Vereinzelt wird von Underwritern bei Versicherern die Vermutung geäußert, dass Betriebe und Unternehmen, die vegetarische und vegane Lebensmittel herstellen, aus risikotechnischer Sicht als weniger anfällig für Sachschäden, z. B. Feuer angesehen werden.
Für das erste Quartal 2020 vermeldete das Statistische Bundesamt Deutschland eine Steigerung von ca. 37 % der Produktionsmenge von Fleischersatzprodukten. Im Vergleich zu Fleischprodukten mit einem Wert von ca. EUR 40,1 Mrd. wurden im Jahr 2019 Fleischersatzprodukte von EUR 0,27 Mrd. umgesetzt.1
Dieser Trend wird zum Zukunftsmarkt für viele Unternehmen,2 der ein enormes Wachstumspotenzial verspricht. Derzeit wird ein Umsatz in Höhe von USD 14 Mrd. erzielt, der nur 1 % des weltweiten Umsatzes mit Fleischprodukten darstellt. Der Anteil an veganen und vegetarischen Lebensmitteln soll aber schon bis 2029 auf USD 140 Mrd. wachsen. In den USA griffen laut Daten von Statista, die auf den Daten des U.S. Census und der Simmons National Consumer Survey (NHCS) basieren, im Jahr 2020 79,82 Mio. US-Amerikaner zu Fleischalternativen.3
Die Lebensmittelindustrie setzt dabei u. a. auf die Forschung zur Herstellung von Kunstfleisch. Man erwartet, dass bereits im Jahr 2030 USD 140 Mrd. mit Kunstfleisch umgesetzt werden, zehn Jahre später sogar USD 630 Mrd. Für das Jahr 2040 erwartet man dabei einen Anteil von 60 % am Fleischprodukte-Lebensmittelmarkt.
Der vorliegende Artikel geht der Frage nach, ob herstellende Betriebe für vegane und vegetarische Lebensmittel ein geringeres Sachschadensrisiko aufweisen.
Im allgemeinen Sprachgebrauch unterscheidet man oft nur zwischen vegetarischer und veganer Ernährung. Der Unterschied liegt im Wesentlichen in der Tatsache begründet, dass vegane Lebensmittel komplett ohne Erzeugnisse vom Tier hergestellt werden, während vegetarische Lebensmittel bestimmte Erzeugnisse vom „lebenden Tier“ enthalten dürfen, und zwar Milch, Eier, Bienenprodukte wie Honig und Zutaten aus Wollfett von Schafen.
Diese Vorgaben gelten für alle Zutaten (einschließlich Zusatzstoffe, Trägerstoffe, Aromen und Enzyme), aber auch für Verarbeitungshilfsstoffe, die bei der Herstellung eingesetzt werden. Kennzeichnend für Wurst- oder Fleischersatzprodukte ist, dass bei der Herstellung die charakteristischen Zutaten, nämlich Fleisch und/oder weitere Bestandteile vom Schlachttier wie Innereien und Speck, ersetzt werden. Dazu dienen Soja- oder Weizeneiweiß oder andere pflanzliche Lebensmittel, bei vegetarischen Produkten auch Milch- und Eierzeugnisse.
Wesentliche Produkte
Für die Herstellung vegetarischer und veganer Lebensmittel werden zurzeit insbesondere die nachfolgenden Produkte als Rohstoffe verwendet:
- Soja (eiweißreiche Hülsenfrucht)
Soja wird in unterschiedlich verarbeiteten Formen zur Herstellung von Fleischersatzprodukten verwendet. Man unterscheidet dabei- Sojafleisch (texturiertes Soja)
Hierzu wird Soja gemahlen, in mehreren Schritten ausgepresst und entfettet und es werden Gewürze zugesetzt, um dann in einem Extruder unter hohem Druck und manchmal auch Wärmezugabe zu einer fleischähnlichen Form und Beschaffenheit verarbeitet zu werden. Insbesondere werden vegetarische Burger, Hackbällchen, Hacksteaks sowie weitere Hackprodukte daraus hergestellt. - Sojaproteinkonzentrat/Sojaproteinisolat (Seitan)
Lösliche Anteile werden durch die Extraktion aus Sojaflocken mittels eines ca. 60%igen Wasser-Alkohol-Gemischs entfernt, sodass die schlecht löslichen Proteine zurückbleiben. Durch Zusatz von alkalischen Mitteln werden in einem mehrstufigen Verfahren die Proteine ausgefällt, zentrifugiert, gewaschen und getrocknet. Man erhält ein Eiweißkonzentrat mit einem Eiweißgehalt von ca. 90 %.
- Sojafleisch (texturiertes Soja)
- Flexitarier bzw. gelegentliche Vegetarier verzichten nur manchmal auf Fleisch bzw. tierische Lebensmittel.
- Teil- und Halbvegetarier verzichten nur teilweise auf Fleisch, Geflügel, Fisch, Meerestiere und daraus hergestellte Produkte.
- Prescetarier sind Vegetarier, die Fisch essen.
- Poultarier sind Vegetarier, die Geflügel essen.
- Ovo-Lacto-Vegetarier ernähren sich fleischlos, essen aber Produkte von lebenden Tieren wie Milch, Sahne, Quark, Käse, Eier und Honig.
- Lacto-Vegetarier verzichten zudem auch auf Eier und Eiprodukte.
- Ovo-Vegetarier verzichten auf Milchprodukte, verzehren aber Eier.
- Sog. Pudding-Vegetarier ernähren sich weitgehend von pflanzenbasierten Fertigprodukten und Süßspeisen.
- Rohköstler (strenge Vegetarier) verzehren ausschließlich ungekochte/nicht verarbeitete Lebensmittel, z. B. Früchte, Gemüse, Nüsse, Samenfrüchte sowie gekeimtes Getreide und Hülsenfrüchte.
- Makrobiotiker ernähren sich im Wesentlichen durch Getreide, Hülsenfrüchte und Gemüse, ggf. in geringeren Mengen auch durch Früchte, Nüsse, Samen und geringe Mengen Fisch.
- Veganer verzichten auf jegliche tierische Nahrung (auch auf alle Milchprodukte und Honig) sowie auch auf tierische Produkte, z. B. Lederwaren wie Schuhe, Jacken.
- Frutarier/Fruganer verzehren ausschließlich pflanzliche Produkte, die nicht die Beschädigung der Pflanze selbst zur Folge haben. Dazu gehören Obst, Nüsse und Samen. Da der Verzehr einer Karotte die Vernichtung dieser einzelnen Pflanze mit sich bringt, ist er nicht mit der frugarischen Ernährungsweise vereinbar. Bei Äpfeln treten diese Bedenken nicht auf, da die Ernte und der Verzehr eines Apfels den Apfelbaum an sich nicht verletzt.
- Weizen/Weizeneiweiß
Durch Auswaschen von Stärke und Kleie aus dem Weizenmehl, Kochen des zurückbleibenden Gluten mit Sojasoße, Algen und Ingwer wird Seitan (Lebensmittel mit fleischähnlicher Konsistenz) hergestellt. Teilweise wird auch fertiges Weizeneiweißpulver (ein Gluten-Nebenprodukt bei der Stärkeherstellung) verwendet. Daneben kommen gewürzte Trockenmischungen zum Einsatz. Seitan wird für die Verarbeitung zu Aufschnitt, Bratstücken, Würstchen usw. verwendet. - Soja-/Lupinenbohne
Durch die Beimpfung gedämpfter und geschälter Soja-/Lupinenbohnen mit einem speziellem Pilz und Fermentierung entsteht schnittfestes Tempeh, das zu Würstchen, Schnitzel oder Gyros verarbeitet werden kann. - Schimmelpilze (fermentierter Myzel)
Das unter dem Handelsnamen Quorn bekannte Produkt basiert auf Pilzkulturen. Durch Fermentation werden Mykoproteine gewonnen, die zu fleischähnlichen Produkten wie Hack oder vegetarischen Schnitzeln verarbeitet werden (nicht vegan, da teilweise Hühnereiweiß enthalten ist). - Erbsenprotein
Erbsenprotein wird verbreitet für die Burger-Herstellung verwendet. Weitere Bestandteile sind Wasser, Erbsenprotein, Farbzusätze zur Erzielung fleischähnlicher Farbe (z. B. Rote-Bete-Saft oder durch Genmanipulation gewonnenes Pflanzenblut – eine aus Soja und Hefe gewonnene Flüssigkeit). Der so erhaltene Brei aus Erbsen wird durch Gerinnung des Eiweißes, mechanische Weiterverarbeitung (Kneten), Erhitzung, Abkühlung unter großem Druck (Extrusion) so behandelt, dass fleischige Texturen entstehen. - Eiklar
Für die Herstellung von Lebensmitteln wird das aus Eiern gewonnene Eiklar getrocknet und u. a. als Basis für Emulsionen verwendet. - Mandel-, Hanf-, Hafer-, Reis-, Kokos- und Sojamilch werden als Milch- und Käseersatz verwendet.
- Agar-Agar (Gelatineersatz)
Das Verdickungsmittel wird aus den Zellwänden einiger Algenarten (Galactose-Polymer, ein Polysaccharid, das Gallerte bilden kann) hergestellt. - Kunstfleisch
Für die Herstellung von Kunstfleisch werden Tieren Stammzellen entnommen und in einer Nährlösung zu Muskelzellen vermehrt. Als Ergebnis erhält man Fleischklumpen, die ähnlich wie Hack- oder Formfleisch verarbeitet werden können. Ihre Herstellung ist zurzeit noch relativ teuer und daher noch nicht marktfähig. Experten schätzen, dass in zwei bis drei Jahren Kunstfleisch in größerem Stil verkauft wird.
Formen der Vegetarier/Veganer
Beschäftigt man sich mit veganen und vegetarischen Lebensmitteln, stellt man schnell fest, dass es unzählige verschiedene Formen von Veganern und Vegetariern gibt, die sich teilweise erheblich voneinander unterscheiden. Dies stellt gleichzeitig eine Herausforderung für die herstellende Lebensmittelindustrie dar, diese verschiedenen Richtungen mit Produkten zu bedienen. Man kann im Wesentlichen folgende Formen unterscheiden:
Besonders große Hoffnungen der Lebensmittelindustrie liegen auf der Herstellung von Produkten, die in Geschmack und Textur dem Fleisch möglichst nahe kommen oder dieses vollständig ersetzen können. Dabei hat man besonders die große Gruppe der Flexitarier im Visier.
Zur Herstellung dieser Produkte werden pflanzliches Protein, Proteinkonzentrat oder Proteinisolat verarbeitet. Dabei ist eine sehr genaue Temperatur- und Zeitsteuerung im Verarbeitungsprozess notwendig, um die gewünschte Textur und Fülle zu erzielen. Weiterhin werden zur Wasserbindung Stärken und pflanzlichen Hydrokolloide sowie zur Emulgierung von zugegebenem Pflanzenfett (z. B. Sonnenblumen- oder Kokosöl) u. a. Johannisbrot- und Guarkernmehl oder Xanthan und Carrageen zugesetzt. Weitere Zusatzstoffe sind geschmacksgebende und färbende Zutaten wie Gewürze, Salz, Inosinate, Dextrose und ähnliche Zuckerstoffe, Hefe, Aromen, Rote-Bete-, Johannisbeersaft bzw. Anthocyane und Beta-Carotine. Weiterhin werden oft Ascorbinsäuren bzw. Acerolakirsche zum Farberhalt und für das typische Fleischrot, z. B. mineralisches Eisenoxid, zugegeben. Weitere häufig zu findende Zusatzstoffe sind Geschmacksverstärker, Konservierungsmittel, Bindemittel, Vitamine und Mineralien, Verdickungsmittel, Texturgeber, Emulgatoren, Lipide, Backtriebmittel, Stabilisatoren und andere Farbstoffe.
Verwendete Technologien
Die Rezepturen für vegetarische und vegane Lebensmittelprodukte erfordern umfangreiche Feinabstimmungen und Hochleistungsanlagen, damit tierische Produkte in Geschmack, Textur, Aussehen und Kochfunktion im industriellen Maßstab nachgebildet werden können. Hierbei unterscheiden sich die verwendeten Technologien im Grundsatz nicht wesentlich von denen der Fleischindustrie.
Zum Einsatz kommen u. a.:
- Kutter und ähnliche Maschinen (wie in der Fleischwarenindustrie zur Herstellung der pflanzlichen Massen)
- Intensivmischer, um strukturbildende und andere Stoffe mit der Wasserphase unter Zusatz von Pflanzenfett, Gewürzen und weiteren Zusatzstoffen zu vermischen
- Vakuumabfüller, um Lufteinschlüsse zu vermeiden
- Koch- und Erhitzungsanlagen, um die Funktionalität der Zutaten und Zusatzstoffe sowie die mikrobiologische Sicherheit zu erreichen
- Extruder zur Herstellung von fibrösem Sojafleisch bzw. texturiertem Sojaprotein (isoliertes und entfettetes Eiweiß wird durch Doppelschnecken unter hohem Druck und hohen Temperaturen aufgeschlossen, und es bilden sich grobporige Trockenextrudate). Für die Herstellung von Produkten mit weniger schwammartiger Mikrostruktur (Proteinschmelze bei 50 bis 60 °C und Druck) kommen dabei Nassextruder (Hochfeuchtigkeitsextruder) zum Einsatz.
- weitere Anlagen (teilweise Prototypencharakter) sowie Kühlanlagen und -räume, Transporthilfen aus Kunststoff, Verpackungsanlagen usw.
Die Produktionsprozesse lassen sich insgesamt wie folgt beschreiben:
- physikalisch-mechanische Verfahren (Entfernung von Schmutz, zerkleinern, anreichern, Texturveränderung). Hierzu zählen
- mischen, kneten, aufschäumen
- zerkleinern, z. B. schneiden, hacken, reiben, mahlen etc.
- trennen, z. B. durch Sieben, Filtern
- physikalisch-thermische Verfahren (Haltbarkeit, Zerstören toxischer Substanzen, Verdaulichkeit, Bildung von Aromastoffen, Bräunung)
- erhitzen, z. B. braten, garen, pasteurisieren, sterilisieren, blanchieren
- frittieren
- räuchern
- kühlen, gefrieren
- Trocknung, Bestrahlung
- Destillation
- biologische Verfahren (Stoffumwandlung für Geschmack, Geruch, Textur, Genuss)
- alkoholische Gärung
- Milchsäuregärung
- Essigsäuregärung
- chemische Verfahren (für Geschmack, Textur, Haltbarkeit, Farbe)
- Eiweißgerinnung
- Zugabe von chemischen Lebensmittelzusatzstoffen
Statistische Schadenerfahrungen
Statistische Erfahrungen für die herstellende Lebensmittelindustrie für vegetarische sowie vegane Lebensmittel sind dem Autor bis heute nicht bekannt, sodass eine zutreffende statische Aussage zur Frequenz und Schwere von Sachschäden nicht möglich ist. Da aber die verwendeten Gebäude, Einrichtungen sowie Technologien zur Herstellung veganer und vegetarischer Lebensmittel sich nicht im Wesentlichen von den in der traditionellen Lebensmittelindustrie verwendeten Technologien unterscheiden, sind nach Auffassung des Autors zunächst keine gravierenden Unterschiede zu erwarten.
Beobachtbare Industrietrends
Viele große Unternehmen und Konzerne investieren zunehmend in die Herstellung vegetarischer und veganer Lebensmittel, teilweise am selben Unternehmensstandort unter Verwendung vorhandener Anlagen und Maschinen. Dabei wird nach eigenen Aussagen auf eine strikte Trennung geachtet, um eine Vermischung oder Verunreinigung von vegetarischen oder veganen Lebensmitteln mit nicht vegetarischen oder nicht veganen Lebensmitteln zu vermeiden.
Kleinere Handwerks- und Gewerbebetriebe werden aufgrund des starken Zuwachses an alternativen Lebensmitteln zunehmend durch größere Betriebe und Produktionsstätten abgelöst. Damit einher geht eine stärkere Automatisierung der Herstellungsprozesse, wenngleich die Herstellung alternativer Produkte aufgrund der enormen Vielfalt der notwendigen Rezepturen sowie den Anforderungen der Vermeidung tierischer Bestandteile insgesamt sehr viel schwieriger zu automatisieren ist. Weiterhin sind große Warenlager, Kühl- und Tiefkühlwarenhäuser vorhanden.
Ähnlich wie bei der bisherigen Lebensmittelherstellung wird auch die alternative Lebensmittelherstellung zunehmend reguliert, z. B. durch Verschärfung der Vorschriften für Hygiene, Herstellung, Verpackung etc. sowie durch Handelsbeschränkungen, die zu erhöhten Anforderungen und damit auch steigenden Kosten führen. Hinzu kommt ein immer anspruchsvolleres Konsumentenbewusstsein und die Erwartung immer neuer Produkte. Als Folge erwartet der Autor ähnlich wie bei der bisherigen Lebensmittelherstellung keine bzw. geringe Investitionen in vorbeugende und abwehrende Brand- und Explosionsschutzmaßnahmen, da sie zusätzlich eine erhebliche Kostenbelastung mit sich bringen.
Brandschutz
Betrachtet man Betriebe der Lebensmittelindustrie, stellt man in der Regel fest, dass die Gebäude und Anlagen einen zusammenhängenden Komplex bilden, bei dem die Gefahr besteht, dass sich in einem größeren Schadenfall Feuer und Rauch ungehindert innerhalb der Gebäude und Räume ausbreiten und zu einem Großschaden führen können. Auch Betriebe, die nur auf die Herstellung alternativer Lebensmittel ausgerichtet sind, weisen eine vergleichbare Konfiguration auf, wie man feststellen kann, wenn man beispielsweise in der Applikation „Google Earth“ die Adressen dieser Betriebe eingibt.
Wertet man Besichtigungsberichte aus, sind Komplextrennungen und Brandabschnitte in aller Regel nicht vorhanden oder, falls vorhanden, ist deren Wirksamkeit durch brandschutztechnisch nicht geschützte Durchbrüche und fehlende brandschutztechnische Einbauten eingeschränkt.
Betrachtet man Brandschäden in der Lebensmittelindustrie, ergeben sich immer wieder die gleichen Ursachen, die mit der Frage, ob vegane, vegetarische oder Fleisch enthaltende Lebensmittel hergestellt werden, wenig zu tun haben. Typische Ursachen für einen Schaden sowie erhöhten Schadenumfang sind:
- menschliche Fehler bei Bauarbeiten, im Arbeitsprozess Defekte an den Produktionsanlagen und Gebäudeeinrichtungen, z. B. Frittier-/Raucherzeugungsanlagen, Lüfter, Elektroinstallation,
- vorhandene Gebäudekonstruktionen und Zwischenwände aus brennbaren Materialien/Isolierungen aufgrund erforderlicher Temperatur- und Hygieneanforderungen (z. B. Sandwichpanelen, Isolationsmaterial aus beispielsweise Polystyrol, Polyurethan),
- hohe Brandlast durch organische Lebensmittel, Hilfsstoffe (z. B. Öle, Fette), Fertigwaren, Verpackungsmaterial, Transporthilfen, Lagerhilfen,
- hohes Zündquellenrisiko durch umfangreiche Elektroinstallationen, hoher Automatisierungsgrad sowie durch vorhandene Kühl-, Koch-, Frittier-, Back- und Räuchereinrichtungen etc. in den Produktionsprozessen,
- schnelle Brandausbreitung durch fehlende bauliche Unterteilungen, hohe Brandlasten sowie unzureichende vorbeugende Brandschutzmaßnahmen sowie große Brandabschnitte mit hoher Wertbelastung. Hierzu gehören auch fehlende oder unzureichende feuerbeständige Abtrennungen gefahrerhöhender Einrichtungen, z. B. Räucherei, Koch- und Frittieranlagen, Thermoölanlagen, Kältekompressoranlagen,
- Explosionsrisiko (z. B. durch Mehl-/Zuckerstäube, Milchpulver, Stärke),
- hohes Rauchfolgeschadenrisiko (Produkte, Hygiene, Reinraumbedingungen) auch bei Kleinbränden; schon ein kleiner Sachschaden kann zu empfindlichen Betriebsunterbrechungen führen (z. B. durch Wiederherstellung der Hygieneanforderungen),
- zunehmend vorhandene große Kühl- und Tiefkühlhäuser (Wertekonzentration, Brandlast, Brandgefahren durch die Kühlatmosphäre),
- geringer Brandschutzstandard bzw. fehlendes risikoorientiertes Brandschutzkonzept (nicht gesprinklert, keine Brandmeldeanlage [BMA], keine feuertechnischen Unterteilungen, keine programmierte Wartung und Instandhaltung),
- Schwierigkeiten für die Feuerwehr, einen Brand effektiv zu bekämpfen (brennbare Gebäudekonstruktionen, fehlende oder mangelhafte feuertechnische Unterteilungen, hohe Brandlast, große Ausdehnung der Gebäude, kontrolliertes Abbrennen, Eigensicherheit),
- gering ausgeprägtes Risikobewusstsein/Fehleinschätzung bei den Unternehmen (z. B. die Annahme, dass Nassbetriebe risikoärmer sind),
- eingeschränkte Möglichkeiten der Sanierung von Gebäuden und Anlagen aufgrund von Hygienevorschriften sowie
- zusätzliche Auflagen von Behörden nach einem Brandschadenereignis mit entsprechenden Folgen für die Betriebsunterbrechung,
- Ausweichmöglichkeiten in der Regel nur begrenzt vorhanden bzw. mit erheblichen Mehrkosten verbunden,
- hoher PML/MFL (Probable Maximum Loss/Maximum Foreseeable Loss – Tendenz meist 100 % der Versicherungssummen für Betriebsunterbrechungen).
Der Autor erwartet daher, dass sich das Brandgeschehen auch in der Herstellung alternativer Lebensmittel nicht von dem der traditionellen Lebensmittelindustrie unterscheidet.
Underwriting-Erkenntnisse und -Empfehlungen
Aufgrund der Annahme, dass sich die Schadenentwicklung bei alternativ herstellenden Lebensmittelunternehmen nicht dramatisch von der traditionellen Lebensmittelproduktion unterscheiden wird, sollten für den Underwriter eines solchen Risikos ähnliche Fragestellungen gelten.4 Eine Reduktion der Brandlast (Einsatz von brennbaren Isolierstoffen in der Gebäudekonstruktion und bei Zwischenwänden, Verwendung von Transport- und Lagerhilfen, Verpackungsmaterial etc.) wird aufgrund hygienischer Anforderungen wenig vielversprechend sein.
Auch erfordern die Verarbeitungsprozesse eine Vielzahl von elektrischen und thermischen Anlagen, sodass eine Vielzahl von Zündquellen in einem Betrieb gegeben sind. Hierzu zählen auch notwendige Reparatur- und Wartungsarbeiten.
Auch eine Verlagerung der Produktion nach einem Schadenfall dürfte nicht unproblematisch sein, da die Herstellung alternativer Lebensmittel erhebliches Spezialwissen und fein aufeinander abgestimmte Produktionsprozesse erfordert.
Aufgrund des dynamisch wachsenden Markts für alternative Lebensmittel ist auch im Laufe eines Jahres mit nicht unerheblichen Veränderungen in einem versicherten Betrieb zu rechnen. Steigende Umsatz- und Gewinnerwartungen, aber auch steigende Anforderungen durch gesetzliche Regelungen sowie Erwartungen der Konsumenten lassen zunehmende Investitionen und Produktionsausweitungen erwarten. Daher ist eine regelmäßige Anpassung der Versicherungssummen, des Deckungsumfanges sowie der Versicherungsprämie erforderlich.
Fazit
Der Umsatz von vegetarischen und veganen Lebensmitteln wird in den nächsten Jahren weiter steigen. Zu beobachten ist, dass Lebensmittelkonzerne aufgrund der derzeitigen höheren Umsatz- und Gewinnerwartungen zunehmend in die Herstellung alternativer Lebensmittel einsteigen. Die tatsächlichen Gewinne werden sich aber bei einer zunehmenden Anzahl von Herstellern reduzieren und Auswirkungen auf die Kostendeckung haben. Hinzu kommt, dass die Qualitäts- und Hygieneanforderungen weiter steigen werden.
Betrachtet man die industriellen Technologien und Herstellungsprozesse alternativer Lebensmittel, kann man feststellen, dass sich die verwendeten Anlagen sowie die Hilfsmittel (z. B. Transporthilfen, Verpackungsmaterialien) nicht wesentlich unterscheiden. Der Unterschied besteht in der Verwendung der Zutaten. Daher sind wesentliche Veränderungen sowohl in der Frequenz als auch in der Schwere von Sachschäden bei der Herstellung vegetarischer und veganer Lebensmittelprodukte im Vergleich zur traditionellen Lebensmittelindustrie nicht zu erwarten.
Neben dem Sachschaden stellt die Betriebsunterbrechung eine besondere Herausforderung dar, denn neben der Frische der Produkte, Liefer- und Abnahmeverpflichtungen, Lieferfristen ist im Falle eines Sachschadens eine Verlagerung der Produktion auf andere Betriebe, z. B. Lohnunternehmen, aufgrund der Vielzahl der Rezepturen, der geforderten Qualität der Produkte sowie des erforderlichen Spezialwissens komplexer und damit schwieriger umzusetzen.
Brandschutzmaßnahmen werden wie in der gesamten Lebensmittelbranche nur vereinzelt anzutreffen sein und wenn, sind in der Regel Verbesserungen notwendig, da häufig ein unterentwickeltes Risikobewusstsein und begrenzte finanzielle Möglichkeiten bestehen. Es ist zu erwarten, dass wegen des dynamischen Marktgeschehens eher in neue Anlagen und Sachwerte investiert wird.
Hinzu kommt, dass präventive bauliche Maßnahmen (Brandwände) aus Gründen des Prozessablaufs selten umsetzbar sind. Außerdem lassen sich Gebäudekonstruktion und Zwischenwände aufgrund der Hygienevorschriften selten aus nicht brennbaren Materialien herstellen. Anlagentechnische Schutzmaßnahmen wie der Einbau von Sprinkleranlagen erfordern erhebliche Investitionen.
Es ist daher fraglich, ob sich die Herstellung veganer und vegetarischer Lebensmittel unter den derzeit vorzufindenden Umständen aus Sicht der Sachversicherung als deutlich risikoärmer darstellt.
Zur Ansicht der Endnoten sowie der Literaturhinweise öffnen Sie bitte die PDF‑Datei.