PHi-Newsletter – Januar 2022
Ausgabe: January 2022 General Liability Deutsch
- Deutschland – Weltweit erste Typgenehmigung im Bereich des automatisierten Fahrens erteilt
- Deutschland – Zivilprozess soll laut Koalitionsvertrag moderner und digitaler werden
- Österreich – Oberster Gerichtshof konkretisiert berechtigte Sicherheitserwartungen
- Vereinigtes Königreich – Keine Haftung von Google wegen behaupteter rechtswidriger Verwendung personenbezogener Daten
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Deutschland – Weltweit erste Typgenehmigung im Bereich des automatisierten Fahrens erteilt
Am 2. Dezember 2021 hat das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) dem Autohersteller Mercedes-Benz die weltweit erste Typgenehmigung im Bereich des automatisierten Fahrens erteilt. Bei Typgenehmigungen handelt es sich um Bestätigungen der Typgenehmigungsbehörde, dass ein serienmäßig in größerer Stückzahl hergestellter Typ gleichartiger Fahrzeuge oder Fahrzeugteile den für sie geltenden Vorschriften entspricht.
Erteilt werden können derzeit Typgenehmigungen der Kategorien Allgemeine Betriebserlaubnisse für Fahrzeuge nach § 20 StVZO, Allgemeine Betriebserlaubnisse für Fahrzeugteile nach § 22 StVZO, Allgemeine Bauartgenehmigungen nach § 22a StVZO, EG/EU-Typgenehmigungen für Fahrzeuge, Systeme und Fahrzeugteile nach den Rahmenrichtlinien bzw. Verordnungen (2007/46/EG, 2003/37/EG, 2002/24/EG, (EU) Nr. 167/201 und 168/2013) und den dazugehörigen Einzelrichtlinien/-verordnungen sowie den Genehmigungen der UN‑Wirtschaftskommission für Europa (UNECE) für Systeme und Fahrzeugteile.
Im konkreten Fall betrifft die für die Modelle S‑Klasse und EQS erteilte Genehmigung ein automatisches Spurhaltesystem (Automated Lane Keeping System – ALKS) und bescheinigt dem von Mercedes als Teil des sog. Drive Pilot verwendeten System, dass es den von der UN‑Regelung Nr. 157 definierten und international harmonisierten Sicherheitsanforderungen an automatisierte Spurhaltesysteme entspricht. Die Genehmigung stellt einen wichtigen ersten Schritt auf dem Weg zur Automatisierung dar, ist das ALKS doch dem Automatisierungsgrad „Level 3“ zuzuordnen, einem automatisierten Modus, der eine konstante Überwachung des Systems durch den Fahrer entbehrlich macht und diesem bei eingeschaltetem System fahrfremde Tätigkeiten erlaubt. Gleichzeitig muss der Fahrzeugführer die Fahrzeugführung nach einer entsprechenden Übernahmeaufforderung jedoch jederzeit wieder übernehmen können. Durch UN‑Regelung Nr. 157 ist die Nutzung von ALKS auf autobahnähnliche Straßen und eine Geschwindigkeit von bis zu 60 km/h begrenzt. Das System regelt dabei Geschwindigkeit und Abstand und führt das Fahrzeug innerhalb der Spur, wobei Streckenverlauf, auftretende Streckenereignisse und Verkehrszeichen ausgewertet und berücksichtigt werden. Es soll ebenso auf unerwartet auftretende Verkehrssituationen reagieren und diese etwa durch Ausweichmanöver innerhalb der Spur oder durch Bremsmanöver eigenständig bewältigen.
Dem KBA kommt im Bereich des automatisierten Fahrens bereits seit Jahren eine maßgebliche Rolle zu. So begleitet es die Vorschriftenentwicklung auf der Ebene des UNECE bereits seit Jahren aktiv und hatte frühzeitig die Weichen für ihre Umsetzung gestellt: Interne Prozesse wurden in kürzester Zeit angepasst, um die Anforderungen aus den ebenfalls neuen UN‑Regelungen Nr. 155 (Cyber-Security) und Nr. 156 (Software-Update) als Voraussetzungen für eine Bestätigung, dass alle technischen Forderungen erfüllt sind und mithin der Genehmigung nach der UN‑Regelung Nr. 157 umzusetzen.
Deutschland – Zivilprozess soll laut Koalitionsvertrag moderner und digitaler werden
In ihrem am 24. November 2021 vorgelegten Koalitionsvertrag haben SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP u. a. Neuerungen am Zivilprozess angekündigt. Das auf Seite 105 beginnende Kapitel „Justiz“ beinhaltet insbesondere das Ziel, den Zivilprozess zu modernisieren und zu digitalisieren sowie den kollektiven Rechtsschutz weiter auszubauen.
Im Bereich des kollektiven Rechtsschutzes sollen bestehende Instrumente wie das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz modernisiert und der Bedarf für weitere überprüft werden. Die EU-Richtlinie über Verbandsklagen (2020/1828) soll anwenderfreundlich und in Fortentwicklung der Musterfeststellungsklage umgesetzt und diese Klagemöglichkeiten statt wie bisher nur Verbrauchern auch kleinen Unternehmen eröffnet werden (S. 106 des Koalitionsvertrags). Die Musterfeststellungsklage soll beibehalten, im Zuge der Einführung der durch die Richtlinie über Verbandsklagen geforderten kollektiven Leistungsklage aber weiterentwickelt werden. Am System der Verbandsklage soll sich nach dem Willen der Koalitionsparteien nichts ändern. Den entsprechend berechtigten Verbänden wird eine Bandbreite von Klageinstrumenten von der Unterlassungsklage über die Musterfeststellungsklage bis hin zur Leistungsklage zur Verfügung stehen (S. 112 des Koalitionsvertrags).
Des Weiteren soll der Rechtsrahmen für Legal-Tech-Unternehmen erweitert und für sie klare Qualitäts- und Transparenzanforderungen festgelegt werden. Was im Rahmen einer solchen Erweiterung geplant ist, bleibt allerdings offen. Einen Vorstoß in diese Richtung hatte bereits der 2020 noch gescheiterte Gesetzentwurf der FDP-Bundestagsfraktion (BT‑Drucks. 19/9527) gewagt, der eine weitgehende Liberalisierung vorsah und nun möglicherweise als Vorlage dienen wird. Daneben soll die Rechtsanwaltschaft durch eine Modifikation des Verbots von Erfolgshonoraren gestärkt und das Fremdbesitzverbot geprüft werden.
Darüber hinaus soll der Zivilprozess modernisiert werden: Gerichtsverfahren sollen schneller und effizienter werden, indem Verhandlungen online durchführbar sind, Beweisaufnahmen audio-visuell dokumentiert und mehr spezialisierte Spruchkörper eingesetzt werden. Kleinforderungen sollen in bürgerfreundlichen digitalen Verfahren einfacher gerichtlich durchgesetzt werden können (S. 106 des Koalitionsvertrags).
Außerdem sollen englischsprachige Spezialkammern für internationale Handels- und Wirtschaftsstreitigkeiten ermöglicht werden (S. 106 des Koalitionsvertrags). Unter dem Stichwort „Commercial Courts“ sind diese bereits Teil des Entwurfs eines Gesetzes zur Stärkung der Gerichte in Wirtschaftsstreitigkeiten, der nach Passieren des Bundesrats derzeit beim Deutschen Bundestag liegt.
Österreich – Oberster Gerichtshof konkretisiert berechtigte Sicherheitserwartungen
Am 16. September 2021 hat sich der Oberste Gerichtshof von Österreich mit der Frage beschäftigt, ob es einen Produktfehler darstellt, wenn eine Skibindung sich nicht in jeder Situation und bei jeder Art Sturz öffnet (Beschluss vom 16. September 2021, Az.: 5Ob152/21w).
Die klagende Skifahrerin hatte nach einem Sturz im März 2017 von der Produzentin und Inverkehrbringerin der Ski und Skibindung Schadensersatz und Feststellung der Haftung für künftige Schäden verlangt, da die Bindung fehlerhaft i. S. von § 5 Produkthaftungsgesetz (PHG) gewesen sei. Ihre berechtigte Sicherheitserwartung als durchschnittliche Produktbenutzerin sei durch das Nichtöffnen der Bindung während des Sturzes enttäuscht worden, und sie zudem nicht auf das Risiko eines möglichen Nichtöffnens hingewiesen worden.
Nachdem bereits das Erst- und Berufungsgericht die Klage damit abgewiesen hatten, dass die mittels TÜV-Zertifikat bestätigte sicherheitsrichtlinienkonforme Funktion der Bindung auch beim Nichtauslösen bei jedem Sturz dem Stand der Technik entspreche und ein Produktfehler daher nicht gegeben sei, legte die Skifahrerin außerordentliche Revision beim Obersten Gerichtshof ein.
Doch auch damit hatte sie keinen Erfolg. Der OGH führte aus, es werde bei Produktfehlern nach PHG zwischen Konstruktions-, Produktions- und Instruktionsfehlern unterschieden. Maßstab für die Fehlerhaftigkeit seien dabei die berechtigten Sicherheitserwartungen eines durchschnittlichen Verbrauchers. Nach den den OGH bindenden Feststellungen der Vorinstanzen hätten Konstruktion und Bindung den geltenden Normen und technischen Sicherheitsstandards entsprochen und seien voll funktionsfähig gewesen. Allerdings entspreche es gerade nicht dem Stand der Technik, dass eine Skibindung bei jedwedem Sturzgeschehen öffne. Dieser Stand der Technik konkretisiere aber die berechtigten Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Produktnutzers. Dass eine Bindung nicht in jedem erdenklichen Sturzgeschehen öffne, stelle daher keinen Konstruktions- oder Produktionsfehler dar.
Auch ein Instruktionsfehler aufgrund der Präsentation des Produkts lag nach Ansicht des OGH nicht vor. So sei mit dem auf der Bindung angebrachten allgemeinen Warnhinweis, dass die Funktionseinheit aus Ski, Bindung und Schuh nicht in allen Situationen mit Verletzungs- oder Todesgefahr für den Nutzer auslöst, auch für einen durchschnittlichen Vebraucher ausreichend vor den mit der Verwendung des Produkts verbundenen Gefahren gewarnt worden.
Zudem sei jedem durchschnittlichen Skifahrer klar, dass Skibindungen in ihrem Auslöseverhalten verschieden einstellbar sind und damit gerade nicht bei jedem denkbaren Sturzszenario auslösen. Damit bestehe keine dahingehende allgemeine Sicherheitserwartung. Auf die subjektive Erwartungshaltung der Klägerin komme es dagegen gerade nicht an, so der OGH.
Vereinigtes Königreich – Keine Haftung von Google wegen behaupteter rechtswidriger Verwendung personenbezogener Daten
Mit Urteil vom 10. November 2021 lehnte der Oberste Gerichtshof des Vereinigten Königreichs (Supreme Court of the United Kingdom, Urt. v. 10.11.2021 (Lloyd v. Google LLC), Az.: UKSC 2019/0213) einstimmig die mittels einer Sammelklage (Class Action) gegen den Google-Konzern geltend gemachten Schadensersatzforderungen i. H. von ca. GBP 3 Mrd. ab.
Zugleich hob er das Urteil des Berufungsgerichts aus dem Jahr 2019 auf. Geklagt worden war wegen angeblich nach dem UK Data Protection Act 1998 (DPA 1998) rechtsgrundloser und daher rechtswidriger Verarbeitung personenbezogener Daten in Form von Browserinformationen von ca. 4,4 Millionen iPhone-Nutzern, indem deren Surfverhalten mithilfe von Cookies zur Werbeverfolgung und anderen Datenspeichertechnologien verfolgt und die Daten durch Google für den Verkauf eines gezielten Werbedienstes verwendet wurden.
Die Klage scheiterte nun am fehlenden erforderlichen Nachweis eines gleichartigen Schadens aller Kläger der vertretenen Personen. Zusätzlich erforderliche Voraussetzung für eine Class Action sei außerdem ein kausaler und nachweisbarer materieller Schaden bei den jeweiligen Betroffenen. Eine bloßer „Verlust der Kontrolle“ über personenbezogene Daten durch rechtswidrige Verarbeitung solcher Daten reiche nicht aus. Dies bedeutet, dass Anspruchsinhaber aus dem Vereinigten Königreich zur Geltendmachung eines datenschutzrechtlichen Schadensersatzes nach § 13 DPA 1998 künftig im Einzelfall psychische Schäden, seelische Belastungen oder finanzielle Verluste darlegen und nachweisen müssen, was eine gewisse Mindestschwelle für Schadensersatz bei Datenschutzverstößen etabliert.
Bereits 2012 hatte Google – ohne Anerkennung einer Haftung – in einem Vergleich mit der US‑amerikanischen Federal Trade Commission nach einem Datenschutzverstoß USD 22,5 Mio., außerdem USD 17 Mio. an eine Reihe von US‑Bundesstaaten gezahlt, in denen Google entgegen eigener Versicherungen Daten für Werbezwecke gesammelt hatte.
Ein klagestattgebendes Urteil hätte die Tür für weitere Klagen in anderen Datenschutzfällen öffnen können. Es bleibt abzuwarten, ob der derzeit mit ähnlichen Fragen konfrontierte Europäische Gerichtshof (EuGH) und die nationalen Gerichte bei der Entscheidung über den Schadensersatzanspruch nach Art. 82 DSGVO mit den Anforderungen an das Vorliegen eines Schadens einen ähnlich restriktiven Ansatz verfolgen werden.
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