OBEN
Im Januar 2014 veröffentlichten die Autoren die Analyse „Ersatzleistung für Personenschäden in Europa“,1 Ziel der vorliegenden Publikation ist es, die Entschädigungsbeträge für Personenschäden in den wichtigsten europäischen Versicherungsmärkten zu aktualisieren und die wesentlichen Neuerungen darzustellen.
Unter Berücksichtigung der Besonderheiten der einzelnen Länder sollen die festgestellten Ergebnisse vereinheitlicht und gemeinsame Faktoren ermittelt werden, um den Vergleich zu erleichtern und die Vorhersage der potenziellen Entwicklungen des Haftpflichtgeschäfts und ihrer (versicherungs‑)wirtschaftlichen Auswirkungen zu unterstützen.
In der Veröffentlichung von 2014 wurden die Märkte Italien, Deutschland, Frankreich, Spanien und das Vereinigte Königreich untersucht. Für die aktuelle Untersuchung wurde der polnische Markt aufgrund seiner Bedeutung in Osteuropa hinsichtlich der Prämieneinnahmen einbezogen. Der polnische Haftpflichtversicherungsmarkt sowie die von Haftpflichtversicherern gezeichneten Unfall- und Krankenversicherungen setzten sein stetiges Wachstum im Jahr 2020 mit PLN 42,7 Mrd. Prämien (EUR 8,9 Mrd.) fort, was einem Anstieg von mehr als 7 % gegenüber 2019 (PLN 39,6 Mrd.) entspricht. Das Wachstum der Haftpflichtversicherungsprämien hat sich seit 2017 verlangsamt; bis dahin wuchs der Markt um 18,28 %, was vor allem auf die erheblichen Erhöhungen der Kfz-Tarife zurückzuführen war.2
Unter den anderen untersuchten Märkten führt Deutschland im Jahr 2020 die Liste der Prämieneinnahmen in der Haftpflichtsparte mit EUR 133 Mrd. an, gefolgt vom Vereinigten Königreich und Frankreich mit EUR 87 Mrd. bzw. EUR 82 Mrd. Weit unter diesen Beträgen liegen Spanien und Italien mit EUR 36 Mrd. bzw. EUR 33 Mrd.3
In den letzten 20 Jahren ist die Zahl der tödlichen Verkehrsunfälle in vielen europäischen Ländern stetig gesunken.
Im Jahr 2020 wurde nach den ersten Auswirkungen der COVID‑19-Pandemie ein außergewöhnlicher Rückgang der Verkehrsunfälle gemeldet: 18.800 Menschen kamen in Europa bei Verkehrsunfällen ums Leben, ein beispielloser Rückgang um 17 % gegenüber 2019 (fast 4.000 weniger Todesfälle). Das geringere Verkehrsaufkommen als Folge der COVID‑19-Pandemie hatte einen deutlichen Einfluss auf die Zahl der Verkehrstoten.
In den zehn Jahren von 2010 bis 2019 sank die Zahl der Verkehrstoten um 36 % und lag damit unter dem 2010 von der EU festgelegten Ziel eines Rückgangs um 50 %. Nur Griechenland (54 %) hat das Ziel übererfüllt, gefolgt von Kroatien (44 %), Spanien (44 %), Portugal (43 %), Italien (42 %) und Slowenien (42 %).
Die Entwicklungen im Jahr 2020 haben zwar zu einigen Veränderungen in der Rangfolge der Länder geführt, doch die sichersten Straßen befinden sich nach wie vor in Schweden (18 Todesopfer pro eine Mio. Einwohner), während Rumänien (85 Todesopfer pro eine Mio. Einwohner) die höchste Rate verzeichnet. Mit insgesamt 42 Verkehrstoten pro eine Mio. Einwohner bleibt Europa jedoch der Kontinent mit den sichersten Straßen der Welt. Zum Vergleich: Der Weltdurchschnitt liegt bei mehr als 180 Verkehrstoten pro eine Mio. Einwohner.4
Das ehrgeizige Ziel des Europäischen Parlaments, die Zahl der Verkehrstoten in der EU in den zehn Jahren von 2010 bis 2019 zu halbieren, wurde zwar nicht erreicht, aber es hat die EU‑Länder dazu veranlasst, wichtige Maßnahmen zu ergreifen, die dazu beigetragen haben, Tausende von Menschenleben zu retten. Der Aktionsplan bekräftigt das langfristige Ziel der EU, die Zahl der Verkehrstoten und Schwerverletzten im Straßenverkehr bis 2050 nahezu auf Null zu reduzieren.
In den untersuchten Märkten lag die Zahl der Verkehrstoten pro eine Mio. Einwohner – aufgrund seines Austritts aus der EU ohne das Vereinigte Königreich – im Jahr 2020 in Spanien bei 29 (- 44 % gegenüber 2010), in Deutschland bei 33 (- 25 %), in Frankreich bei 39 (- 36 %), in Italien bei 40 (- 42 %) und in Polen bei 65 %, dem höchsten Stand (- 37 %).
Trotz ständiger Verbesserungen der Verkehrssicherheit sind Verkehrsunfälle nach wie vor eine der häufigsten Todesursachen bei jungen Menschen zwischen 15 und 30 Jahren. Besonders hoch ist das Risiko für junge Männer und für junge Motorradfahrer. Die Zahl beläuft sich in der EU auf 5.1825 – das sind 3.434 weniger als 2010, aber immer noch 23 % aller Verkehrstoten im Jahr 20196. Ein positives Ergebnis ist jedoch, dass die Zahl der Verkehrstoten pro eine Mio. junger Einwohner im Zeitraum 2010 bis 2019 um 34 % gesunken ist, während sie in anderen Altersgruppen im gleichen Zeitraum nur um 19 % zurückging.
Im Gegensatz zum EU‑Durchschnitt machen in Italien die Verkehrstoten unter jungen Menschen 25 % aller Todesfälle aus, verglichen mit einem EU‑Durchschnitt von 18 %. Dies ist hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass junge Leute in Italien im Vergleich zu vielen anderen europäischen Ländern häufiger motorisierte Zweiräder benutzen.
Bei der Untersuchung der Schadensersatzzahlungen im Todesfall auf den wichtigsten europäischen Versicherungsmärkten ist zu beachten, dass die gleiche Schadensersatzberechnung auch bei Todesfällen in anderen Versicherungssparten angewandt wird, z. B. der Arzthaftpflichtversicherung und der Arbeitgeberhaftpflicht, wo eine Vielzahl von Todesfällen gemeldet wird (in Italien gab es im Jahr 2021 1.221 tödliche Arbeitsunfälle).
Der Vergleich der Entschädigungssysteme bei Todesfällen stützt sich auf zwei Fallstudien: 1. die höchste Entschädigungssumme in allen Systemen (Tod eines 41‑jährigen Mannes) und 2. das statistisch häufigste Ereignis (Tod eines 17‑jährigen Jungen). Für beide Fälle werden die ausgewählten europäischen Systeme im Hinblick auf die aktuelle Schätzung der Standardentschädigung für tödliche Verkehrsunfälle verglichen. Die aktuellen Zahlen werden denen aus der Untersuchung von 2013 gegenübergestellt.
Wie aus Grafik 1 hervorgeht, bestehen trotz des von der EU gezeigten Harmonisierungswillens weiterhin große Unterschiede zwischen den untersuchten Ländern. In Italien und Frankreich beruht die Entschädigung zwar auf Tabellen, die von den örtlichen Gerichten entwickelt wurden, doch gibt es enorme Unterschiede bei den Gesamtbeträgen.
In Spanien gilt der im Januar 2016 in Kraft getretene reformierte sog. Baremo, eine gesetzliche Tabelle mit Schadensersatzpositionen für Todesfälle und Verletzungen bei Verkehrsunfällen, die auf Personenschäden bei anderen Unfällen erweitert wurde.7
Das Entschädigungssystem in England und Wales ist in zwei Gesetzen geregelt: Der „Law Reform (Miscellaneous Provisions) Act 1934“ sieht vor, dass die Hinterbliebenen einen Anspruch auf Schmerzensgeld für die Schmerzen, die der Verstorbene vor seinem Tod erlitten hat, sowie die Erstattung der Beerdigungskosten geltend machen können. Der „Fatal Accidents Act“ aus dem Jahr 1976 sieht einen Anspruch der Hinterbliebenen auf Trauerschaden (bereavement), Ersatz der Schäden, die dem Verstorbenen vor seinem Tod entstanden sind sowie durch den Todesfall entstandene Einkommensverluste vor.
Die Gesetze in Deutschland8 und Polen enthalten Anspruchsgrundlagen, ohne jedoch eine spezifische Quantifizierungsmethode festzulegen. Diese liegt derzeit im Ermessen der Gerichte.
Der Hauptunterschied zwischen den Entschädigungssystemen liegt in der Bedeutung und Behandlung von immateriellen Schäden. Grafik 1 zeigt die „italienische Anomalie“, die sich aus der enormen Bedeutung des Schmerzensgelds ergibt. Das italienische Entschädigungssystem funktioniert auf Ermessensbasis, da der Gesetzgeber keine spezifischen Parameter oder verbindlichen Richtlinien für die Quantifizierung der Entschädigung bei tödlichen Verletzungen vorgesehen hat.
Die Schätzung der immateriellen Komponente des Schadensersatzes erfolgt anhand von Richtwerten in Entschädigungstabellen, die von einzelnen örtlichen Gerichten erstellt werden. Die vom Landgericht von Mailand erstellten Entschädigungstabellen sind die derzeit am häufigsten verwendeten im ganzen Land.9
Diese Führungsrolle der Mailänder Tabellen für Todesfälle wurde jedoch durch mehrere Entscheidungen aus dem Jahr 202110 infrage gestellt, die stattdessen die Anwendung der Tabellen aus Rom stärken. Eine umfängliche Anwendung dieser anstelle der Mailänder Tabellen könnte zu einer Erhöhung der Entschädigung für Todesfälle um 5 % bis 6 % führen.
Auch in Frankreich werden von einzelnen Gerichten oder auf regionaler Basis erstellte unverbindliche Referenztabellen für die zivilrechtliche Entschädigung von immateriellen Schäden verwendet, die im Todesfall von den Angehörigen des Verstorbenen geltend gemacht werden. Als weiterer Beweis für die Einzigartigkeit des italienischen Systems in Europa sehen diese Tabellen jedoch Beträge vor, die etwa lediglich 10 % der in der Mailänder Tabelle festgelegten Beträge entsprechen.11
Weder die zugrunde gelegten Methoden noch die Zahlen der von den örtlichen Gerichten erstellten französischen Tabellen sind für den Einzelrichter rechtsverbindlich, sie werden aber in der Praxis von den meisten Richtern und bei der außergerichtlichen Streitbeilegung befolgt.
Nach dem neuen Baremo in Spanien ist die Entschädigung bei Todesfällen in den Art. 61 bis 92 und den entsprechenden Tabellen geregelt. Das Gesetz sieht drei Arten von Schadensersatz vor: einfacher Personenschaden, spezifischer Personenschaden und materieller Schaden. Der spezifische Personenschaden kann den Betrag der Entschädigungszahlungen für den einfachen Personenschaden um bis zu 25 % anheben, wenn besondere Umstände vorliegen, z. B. wenn im selben Haushalt lebende behinderte Verwandte betroffen sind, beim Unfalltod beider Elternteile oder beim Tod eines Einzelkinds.
Der immaterielle Schadensersatz beläuft sich in England und Wales derzeit auf GBP 15.120 (letzte Erhöhung im Mai 2020; zuvor betrug er GBP 12.980). Der Betrag wird vom Lordkanzler gemäß den Bestimmungen des Fatal Accidents Act 1976 festgelegt. In England und Wales besteht kein Anspruch auf Entschädigung für die weitere Familie (Eltern, Großeltern, Geschwister usw.), obwohl in Schottland der „Verlust der Gemeinschaft“ anerkannt wird. Das schottische Schadensersatzrecht wird im Damages (Scotland) Act von 2011 geregelt, in dem kodifiziert wird, wer bei einem vorzeitigen Todesfall, der durch Fahrlässigkeit eines anderen verursacht wurde, Ansprüche geltend machen kann und wie hoch die Ansprüche sind. Der tatsächlich zu zahlende Schadensersatz unterscheidet sich je nach Anspruchsteller und emotionaler Nähe zum Verstorbenen. Häufig wird die Höhe des Schadensersatzes anhand von Präzedenzfällen und der Rechtsprechung festgelegt.
Das System in England und Wales hat eine breite Debatte ausgelöst. Die Lobby der Anspruchsteller drängt ständig darauf, das System zu überarbeiten und mit den Regelungen in Schottland in Einklang zu bringen. Im Jahr 2020 bestätigte das Justizministerium des Vereinigten Königreichs jedoch, dass dies nicht erfolgen wird.
In Deutschland gewährt seit Juli 201712 § 844 Abs. 3 BGB den Hinterbliebenen Ersatz des immateriellen Schadens beim deliktisch herbeigeführten Tod eines nahestehenden Angehörigen. Voraussetzung sind eine adäquat kausale Verursachung und ein Verschulden.
Für die Definition der Hinterbliebenen verlangt das Gesetz eine besondere persönliche Nähe zwischen den Hinterbliebenen und dem Verstorbenen. Eine solche Nähe wird bei Ehegatten/Lebenspartnern sowie bei Eltern und Kindern vermutet. Bei anderen Hinterbliebenen, wie Lebensgefährten, Verlobten, Stief- und Pflegekindern sowie Geschwistern muss die Nähe nachgewiesen werden. Der Gesetzgeber hat hier keine bestimmten Beträge festgelegt, sondern dies in das Ermessen der Gerichte gestellt. Fünf Jahre nach Einführung des neuen Gesetzes liegt der durchschnittlich zugesprochene Betrag bei etwa EUR 10.000.13
Die Regelungen in Polen sind bezüglich der immateriellen Schäden ähnlich wie im deutschen System: Der Grundsatz der Entschädigung für tödliche Verletzungen ist seit 2008 gesetzlich geregelt. Es ist kein fester Betrag vorgesehen, sondern die Bezifferung liegt im Ermessen der Gerichte. Nach der aktuellen Rechtsprechung liegt der Schadensersatz je nach Grad der Beziehung zum Verstorbenen in einem Bereich zwischen EUR 5.000 und EUR 20.000.14 Dies ist jedoch nur ein Richtwert und variiert je nach den Umständen des Falls und dem Gericht, das über den Fall entscheidet.
Bei der Betrachtung des Schadensersatzes spielt Spanien derzeit eine wichtige Rolle in unserer Analyse, da der neue Baremo die wirtschaftliche Komponente des Schadensersatzes nach dem Grundsatz der vollständigen Entschädigung völlig neu gestaltet hat. Das Hauptziel ist eine Wiederherstellung der Lebensumstände des Opfers, die denjenigen vor dem Unfall so weit wie möglich entspricht.
Die Berechnung der Vermögensschäden erfolgt nach einem speziellen versicherungsmathematischen Modell: Das Nettoeinkommen des Opfers wird mit einem Koeffizienten multipliziert, der sich aus einer Kombination verschiedener Variablen ergibt. Ein Mindestanteil von 10 % wird zur Deckung der angemessenen Bedürfnisse des Opfers verwendet (quota sibi). Darüber hinaus sieht das Gesetz weitere Verteilungskriterien vor: 60 % für den Ehegatten oder für den Fall, dass nur ein Angehöriger Anspruch auf Entschädigung hat; bei mehreren Angehörigen beträgt der Anteil des Ehegatten 60 % (einschließlich 30 % für die Kinder) und 20 % für andere Verwandte. Weitere Faktoren wie die gesetzliche Rente, die Dauer der finanziellen Abhängigkeit, das Sterberisiko und die Abzinsung müssen ebenfalls berücksichtigt werden.15
Bei Vermögensschäden ist die Methode zur Berechnung in allen Ländern – mit Ausnahme von Spanien – recht ähnlich. Die unterschiedlichen Ergebnisse, die sich aus Grafik 1 ergeben, resultieren aus den Besonderheiten des jeweiligen nationalen Rechts, wie der Verwendung von Sterbetafeln (in Deutschland und Frankreich auf dem neuesten Stand, in Italien etwas veraltet) sowie unterschiedlichen, aus dem Fallrecht abgeleiteten Kriterien, z. B. bei der Berechnung des Unterhaltsbedarfs für berechtigte Hinterbliebene. In Deutschland wird vor der Berechnung des Unterhalts für Hinterbliebene ein Teil des Gesamteinkommens abgezogen, der in jedem Fall für den täglichen Bedarf der Familie notwendig wäre (sog. Fixkosten). Dieser Betrag wird dann zu den dem Ehegatten und den Kindern zustehenden Anspruchsposten hinzugerechnet.
In Polen ist der Ersatz des Vermögensschadens eine Ergänzung zu den Sozialleistungen, die der Staat an die Familie zahlt. In Fall 1 hat die Witwe gemäß den Grundsätzen des Zivilrechts keinen Anspruch darauf, bis zur Rente einen bestimmten Anteil des Einkommens des Verstorbenen zu erhalten, wie dies in anderen Ländern der Fall ist, da sie in der Lage sein sollte, selbst zu arbeiten und ein Einkommen zu erzielen. Allerdings wird ein Vermögensschaden für die Zeit berücksichtigt, in der die Kinder bis zum Ende ihres Studiums im hypothetischen Alter von 25 Jahren zu Hause bleiben. Ferner wird ein Zuschlag zur Sozialleistung für die Lebenshaltungs- und Ausbildungskosten für jedes Kind in Form einer Rente gezahlt.
Neben dem normalen Anstieg, der auf ein Jahrzehnt Inflation zurückzuführen ist, zeigt Grafik 2 für Spanien beim Ersatz der Vermögensschäden eine Steigerung von 114,9 %, die auf die bereits erwähnte Einführung des neuen Baremo zurückzuführen ist. 2013 sah das System eine feste Entschädigung für tödliche Verletzungen vor, die vom Grad der Verwandtschaft mit dem Verstorbenen und seinem Alter abhing. Diese Festbeträge unterlagen einer pauschalen Anpassung, abhängig vom Einkommen des Opfers.
Abgesehen von dem erheblichen Anstieg in Spanien zeigt der Vergleich weitere Veränderungen, die in fast einem Jahrzehnt (2013–2022) in den anderen Märkten eingetreten sind.
Ein relevanter Unterschied zeigt sich in Deutschland nach der Einführung des immateriellen Schadensersatzes für tödliche Verletzungen im Jahr 2017. 2013 war im deutschen Recht und in der Rechtsprechung noch keine Entschädigung für immaterielle Schäden vorgesehen. Begründet wurde dies mit dem Argument, dass dies eine Zahlung für eine Partei sei, die nur indirekt geschädigt wurde – ein Ergebnis, das nach deutschem Recht nicht erwünscht war – und eine Entschädigung nur dann gewährt wird, wenn der Tod des Opfers eine unmittelbare Auswirkung auf den Körper oder die Gesundheit der Hinterbliebenen hat.
Nach heutigem Stand wird dagegen in Deutschland durch die Einführung des neuen Hinterbliebenenschadensersatzes unter bestimmten Umständen auch die immaterielle Schadenskomponente bei tödlichen Verletzungen anerkannt.
Der Vergleich der französischen Zahlen zeigt einen Anstieg, der hauptsächlich auf die Inflationsrate und die Änderung der Kapitalisierungstabelle zurückzuführen ist.
Der Vergleich der Schätzungen für 2013 mit denen für 2022 zeigt, dass die Entschädigungssummen in England und Wales nur geringfügig gestiegen sind, was auf eine fast zehn Jahre andauernde niedrige Inflation zurückzuführen ist.
Die großen Unterschiede zwischen den europäischen Entschädigungssystemen, insbesondere beim Schmerzensgeld, werden in der zweiten Fallstudie noch deutlicher.
Wie aus Grafik 3 hervorgeht, ist die Höhe der Entschädigung für Vermögensschäden zu vernachlässigen; sie umfasst hauptsächlich Beerdigungskosten, berechtigte Erwartungen für die Zukunft und entgangene Hilfe im Haushalt, die möglicherweise vom jungen Opfer erwartet wurde. Die letzte Form der Entschädigung stellt eine Besonderheit in Deutschland und Polen dar. Die Diskrepanz zwischen den Entschädigungssystemen in Italien und den anderen europäischen Ländern in Bezug auf die Schätzung der immateriellen Schäden scheint relevant zu sein.
Der Vergleich zwischen 2013 und 2022 in Grafik 4 zeigt, dass der neue spanische Baremo in diesem Fall keine großen Auswirkungen hatte – wie vorherzusehen war, da kein großer Einfluss auf Vermögensschäden zu verzeichnen ist. Erhöhungen in den anderen Ländern sind auf die gleichen Gesetzesänderungen wie bei Fall 1 zurückzuführen.
Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass in Italien in der Mailänder Tabelle von 2009 bei tödlichen Verletzungen auch den Großeltern eines jungen Opfers eine Entschädigung für immaterielle Schäden gewährt wird.
Die derzeitige Spanne in der Mailänder Tabelle von 2021 liegt zwischen EUR 24.000 und EUR 146.000, abhängig vom Alter des Opfers, einer eventuellen Lebensgemeinschaft und der Intensität der Beziehung. Der üblicherweise bei Gerichtsverfahren zugesprochene Standardbetrag liegt zwischen EUR 25.000 und EUR 50.000, während außergerichtliche Vergleiche i. d. Regel in einem niedrigeren Bereich liegen. Jedoch scheint diese Art von Schadensersatz im Vergleich zur früheren Praxis häufiger anerkannt zu werden.
Der Rückgang der Unfalltoten in Europa spiegelt sich keineswegs bei schweren Personenschäden wider. Während die verbesserten medizinischen Behandlungsmethoden und die höhere Sicherheit im Straßenverkehr und bei Kraftfahrzeugen im Allgemeinen zu einem deutlichen Rückgang der Zahl der Todesopfer führen, geht die Zahl der gemeldeten schweren Körperverletzungen in Europa nicht in gleichem Maß zurück. Laut Ausgabe 15 des „Annual Road Safety Performance Index (Pin) Report“ des Europäischen Verkehrssicherheitsrats, der im Juni 2021 veröffentlicht wurde, stagnierte die Zahl der schweren Verletzungen im Straßenverkehr in den EU‑Ländern insgesamt während des größten Teils des Jahrzehnts,16 um dann im Jahr 2020 aufgrund der COVID‑19-Pandemie plötzlich zu sinken. Im Jahr 2020 ist die Häufigkeit schwerer Personenschäden drastisch zurückgegangen, was hauptsächlich auf die restriktiven Maßnahmen und Lockdowns während der Pandemie zurückzuführen ist.
Grafik 5 zeigt bezüglich der zu schätzenden Entschädigung einen Vergleich für eine der schwersten Verletzungen, eine Tetraplegie (Lähmung vom Hals abwärts, einschließlich Rumpf, Beine und Arme) bei einem 41‑jährigen Mann in verschiedenen Ländern.
Grafik 5 zeigt, dass immaterielle Schäden in Italien nach wie vor eine besondere Rolle einnehmen: Die Entschädigungszahlungen sind dort doppelt so hoch wie in Frankreich, fast dreimal so hoch wie in Deutschland und fast fünfmal so hoch wie in England und Wales. Immaterielle Ansprüche übernehmen in Italien eine Art Ausgleichsfunktion für die eher geringen materiellen Schadensersatzzahlungen.
Die Entschädigungssysteme in Italien, Frankreich und Spanien beruhen hauptsächlich auf Tabellen – mit einem wesentlichen Unterschied, der bereits erwähnt wurde: In Italien und Frankreich gibt es kein entsprechendes Gesetz; das gesamte System wurde durch die nationale Rechtsprechung entwickelt, während in Spanien die Baremo-Gesetze Entschädigungstabellen vorsehen. In Deutschland, England und Polen ergeben sich die Entschädigungsbeträge aus der Präzedenzrechtsprechung.
Der aktualisierte Baremo in Spanien ist eine gesetzlich verbindliche Tabelle, die für jede Art Verletzung eine bestimmte Anzahl von Invaliditätspunkten vorsieht. Die gesamte Bewertung des Schadens und die Festsetzung der Punkte obliegt einem Rechtsmediziner. Wie bei Todesfällen kennt der Baremo drei Arten von Schäden: einfache und spezifische Personenschäden sowie materielle Schäden einschließlich Verdienstausfall.17 Bei schwerer Dauerinvalidität haben neben der verletzten Person auch die nahen Angehörigen Anspruch auf Entschädigung.
Wie bereits erwähnt, hat der italienische Gesetzgeber (noch) keine spezifischen Parameter oder verbindliche Richtlinien für die Bemessung der Entschädigung für Personenschäden festgelegt.18 Als wichtigste Grundlage gilt hier die Mailänder Tabelle (letzte Fassung von 2021). Sie sieht einen immateriellen Schadensersatz vor, der mit dem Invaliditätsgrad steigt (von 1 % bis 100 %).
In Übereinstimmung mit der vom Kassationsgericht vorgegebenen Richtschnur enthält die aktuelle Ausgabe der Mailänder Tabellen innerhalb der immateriellen Schäden eine klare Unterscheidung zwischen zwei autonomen Kategorien: Gesundheitsschaden (danno biologico) und Schmerzensgeld (danno morale). Kann der Geschädigte besondere Umstände nachweisen, kann das Gericht im Rahmen der „Individualisierung“ den Schadensersatz um bis zu 25 % erhöhen. Hiervon wurde in den vergangenen zehn Jahren jedoch nur gelegentlich Gebrauch gemacht.
In Frankreich basiert die Struktur des Entschädigungssystems auf dem 2006 veröffentlichten Rapport Dintilhac. Dieser Bericht, der die einzelnen Schadenspositionen (materiell und immateriell) beschreibt, hat zwar noch keinen Eingang in gesetzliche Vorschriften gefunden, sich aber bei den französischen Gerichten weitgehend durchgesetzt. Demnach ist der wichtigste immaterielle Schaden das dauerhafte Funktionsdefizit, das die psychische und physische Integrität der verletzten Person (Atteinte à l’Intégrité Physique et Psychique), dauerhaftes Leiden und den Verlust von Annehmlichkeiten umfasst.
Dieser Schaden wird als Prozentsatz auf einer Skala von 1 % bis 100 % beziffert, wobei jedes Berufungsgericht diesem einen Geldwert zuweist, der mit dem Grad der Behinderung steigt und mit dem Alter des Opfers sinkt.19 In den Tabellen, die sich ebenfalls auf den Rapport Dintilhac stützen, werden Entschädigungsspannen (i. d. Regel auf einer Skala von 1 bis 7) in Abhängigkeit vom Grad des Leidens und der ästhetischen Schäden festgelegt.
Der aktualisierte Recueil méthodologique commun pour l’indemnisation des dommages corporels (Leitfaden für die Entschädigung von Körperverletzungen) empfiehlt als Höchstgrenze für die Entschädigung bei sehr leichten Verletzungen (très léger) EUR 2.000 und bei sehr schweren Verletzungen (très important) zwischen EUR 50.000 und EUR 80.000. Bei außergewöhnlichen Verletzungen kann dieser Betrag auch höher sein. Es liegt im Ermessen des Gerichts, Schäden zu bewerten, die sich auf das Sexual- und Beziehungsleben, Freizeit- und Sportaktivitäten (préjudice d’agrément) sowie die eingeschränkte Möglichkeit zur Familiengründung (préjudice d’établissement) beziehen. In Frankreich liegen diese Entschädigungen je nach den Umständen und dem Alter des Opfers i. d. Regel zwischen EUR 20.000 und EUR 50.000.
In England und Wales gibt es keine Tabellen für die Entschädigung bei Personenschäden. Je nach den Besonderheiten des Falls legen die Gerichte den Schadensersatz fest oder lehnen die Fälle auf der Basis von Präzedenzfällen ab. Im Jahr 1992 hat jedoch eine Institution für die Ausbildung künftiger Richter Leitlinien ausgearbeitet, die Judicial College Guidelines for the Assessment of General Damages in Personal Injury Cases, die jetzt in der 15. Ausgabe vorliegen. Sie dienen allerdings lediglich als Orientierungshilfe, da sie nicht gesetzlich verankert sind und von ihnen abgewichen werden kann, wenn die Umstände des Einzelfalls dies erfordern.
Die Leitlinien sind das am häufigsten verwendete Instrument zur Bezifferung der Entschädigung für Schmerzen, Leiden und den Verlust von Annehmlichkeiten. Für jede Verletzung einschließlich Schmerzensgeld und alle anderen Arten immaterieller Schäden wird eine Bandbreite von Entschädigungsbeträgen angegeben.
Die in England und Wales beschriebene Situation ist dem Entschädigungssystem in Deutschland recht ähnlich, wo der immaterielle Schaden durch das allumfassende Schmerzensgeld dominiert wird, das gem. § 253 BGB alle nicht vermögensbezogenen Schadenfolgen umfasst. Bei der Bemessung des Schmerzensgelds muss das Gericht daher die Schwere der Verletzung, das Alter des Opfers, die Intensität der Schmerzen und alle anderen Faktoren berücksichtigen, die den Gesamtschaden beeinflussen. Hierbei greifen Gerichte und Versicherer zur Ermittlung der Entschädigungshöhe auf Sammlungen vergleichbarer Fälle der bisherigen Rechtsprechung (z.vB. die ADAC-Schmerzensgeldtabelle) zurück, wenngleich diese kein rechtliches Gewicht haben oder einen verbindlichen Präzedenzfall darstellen. In besonders schweren Fällen kann das Schmerzensgeld zwischen EUR 500.000 und EUR 800.000 betragen. Es kann auch in Form einer Rente gezahlt werden.
Ähnlich wie im deutschen und englischen System nimmt auch in Polen die Zuerkennung von immateriellen Schäden zu, sowohl hinsichtlich der Höhe als auch der Vielfalt. Mit der Entscheidung des Obersten Gerichts vom 27. März 2018,20 die sich auf Art. 446 des Zivilgesetzbuchs stützt, wurde eine neue Form des immateriellen Schadens für enge Familienmitglieder eingeführt. Dieser soll den Schaden ausgleichen, der dem sozialen Leben der Familie und den veränderten Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern entstanden ist.
Am 19. September 2021 wurde diese neue Schadensersatzform auch gesetzlich verankert. Art. 446 § 4 polnisches Zivilgesetzbuch sieht einen Anspruch auf angemessene Entschädigung nächster Angehöriger vor, wenn eine Körperverletzung zum Tod des Geschädigten führt.
Da diese Schadensart erst vor Kurzem eingeführt wurde, stellt sich für die Marktteilnehmer derzeit die Frage nach der Bewertung. Für die Zwecke dieser Studie haben wir diese Forderungsposition mit EUR 10.000 pro Begünstigtem bewertet. Die Rechtsprechung wird eine Bandbreite der Entschädigung für diesen Posten entwickeln müssen.
Der reguläre immaterielle Schaden, d. h. das Schmerzensgeld für den Geschädigten, könnte auf EUR 120.000 veranschlagt werden, doch gibt es keinen festen Betrag. Er hängt von der Besonderheit des Falls und von dem Gericht ab, das über ihn entscheidet.
Grafik 6 zeigt einen Vergleich mit den Zahlen von 2013. Die aktuellen Zahlen für immaterielle Schäden zeigen keine relevanten Unterschiede bei den Beträgen, abgesehen von einem inflationsbedingten Gesamtanstieg. Insbesondere auf dem deutschen Markt scheint es eine Tendenz zu geben, bei schweren Verletzungen ein höheres Schmerzensgeld zu gewähren, vor allem wenn der Geschädigte die mit dem Schaden verbundenen Einschränkungen bewusst erlebt.
Betrachtet man hingegen die materielle Komponente des Schadensersatzes, so zeigt sich in Spanien ein massiver Anstieg, der auf den neuen Baremo zurückzuführen ist, der, wie bereits erwähnt, die wirtschaftlichen Grenzen des Schadensersatzes völlig neu definiert hat.
Der wesentliche und wichtigste Unterschied zwischen den Auswertungen von 2013 und 2022 besteht in der Komponente des Vermögensschadens. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Kosten für den Pflegebedarf die Entschädigungssummen enorm beeinflussen. Die Pflegekomponente, die bereits zum Zeitpunkt der ersten Analyse erhebliche Auswirkungen hatte, nimmt in den aktuellen Zahlen eine zentrale Stellung ein, wie in Grafik 7 dargestellt.
Italien |
Frankreich |
Deutschland |
Spanien |
England |
Polen |
|
2013 |
17,98 % |
54,27 % |
45,38 % |
29,05 % |
72,69 % |
n.a. |
2022 |
23,12 % |
65,60 % |
47,06 % |
56,57 % |
76,14 % |
62,22 % |
Die unterschiedlichen Prozentsätze und Beträge ergeben sich nicht nur aus den unterschiedlichen Strukturen der jeweiligen Entschädigungssysteme, sondern auch aus der unterschiedlichen Organisation der Gesundheits- und Sozialversicherungssysteme der einzelnen Länder.
Von allen Ländern, die Gegenstand der vorliegenden Analyse sind, ist diese Anspruchsart nur in Spanien gesetzlich definiert. Wie bereits erwähnt, ist die Art und Weise, wie der materielle Schaden bewertet wird, einer der wichtigsten Aspekte des reformierten Baremo.
Eine wesentliche Änderung, die mit dem neuen Baremo eingeführt wurde, betrifft die voraussichtlichen Kosten für die künftige Pflege, die der Versicherer direkt an den staatlichen Gesundheitsdienst zahlen muss. Der Geschädigte selbst erhält eine Entschädigung für die Kosten von Prothesen und Orthesen, häuslicher oder ambulanter Pflege, technischen Geräten oder Produkten, die seine Unabhängigkeit ermöglichen, notwendige Veränderungen in der Wohnung und die daraus resultierenden Kosten für die Mobilität (z. B. Umbau eines Autos) und andere Bedürfnisse.
Der Betrag ergibt sich aus der Multiplikation der Kosten für die Pflegeleistungen (das 1,3‑Fache des gesetzlichen Mindestlohns) mit dem Wert für den jeweiligen Geschädigten unter Berücksichtigung folgender Faktoren: Anspruch des Geschädigten auf Hilfe und Pflege durch einen Dritten, Dauer, Alter, Sterberisiko und Diskontierungszinssatz.
Die Entschädigung für den Verdienstausfall wird auf der Grundlage des Nettoeinkommens des Opfers berechnet. Bei minderjährigen Opfern und Opfern, die für den Haushalt verantwortlich sind, wird ein statistischer Durchschnittswert angesetzt. Dieser Wert wird mit einem Koeffizienten multipliziert, der sich aus folgenden Faktoren ergibt: Anspruch des Opfers auf staatliche Beihilfen für die häusliche Pflege, Dauer, Alter, Sterberisiko und Diskontierungszinssatz.
Betrachtet man die anderen fünf Entschädigungssysteme und das Gewicht der wirtschaftlichen Komponente bei der Gesamtschätzung, so fällt sofort die „italienische Besonderheit“ auf, bei der der Anteil der Pflegeleistungen an der Gesamtschätzung 23 % beträgt, während er bei der gleichen Schadenhöhe in den anderen Ländern zwischen 47 % (Deutschland) und 76 % (England) liegt. In Polen macht der Anteil der Pflegekomponente zwar 62 % des Gesamtbetrags aus, dieser ist aber viel niedriger als in den anderen Ländern.
Italien und Polen unterscheiden sich durch einen deutlich niedrigeren Anteil der materiellen Komponente des Schadensersatzes. Der Hauptunterschied liegt darin, dass die künftigen Pflegeleistungen in Deutschland, Frankreich und England – je nach den Bedürfnissen des Geschädigten und den Leistungen des Gesundheitssystems – von staatlichen und privaten Einrichtungen erbracht werden. Daher besteht die Möglichkeit, dem Schädiger im Rahmen der zivilrechtlichen Haftung die gesamte Last aufzuerlegen.
In England haben Anspruchsteller weiterhin das Recht auf Zugang zu staatlich finanzierten Gesundheits- und Pflegediensten, aber es ist nicht erforderlich, dass sie darauf angewiesen sind. Selbst in Fällen, in denen dies zu einer doppelten Ersatzleistung führen würde, sind sie berechtigt, die Kosten für ihre Pflege und andere medizinische Leistungen in vollem Umfang (abhängig von der Haftungsregelung) vom Ersatzpflichtigen zu fordern und dann auf staatlich finanzierte Pflege und Unterstützung zurückzugreifen. Es gibt Ausnahmen, aber in vielen Fällen, insbesondere bei schwerwiegenden Verletzungen, werden sich die Geschädigten auf die staatlich finanzierte Pflege verlassen. Im Wesentlichen werden die Rückstellungen für schwere Verletzungen jedoch ein vollständig privates Pflege- und Therapiesystem berücksichtigen.
Speziell für das englische System zeigt Grafik 7 einen massiven Anstieg der Pflegekosten: Im Vergleich zu 2013, als sich die Pflegekosten auf ca. EUR 6 Mio. beliefen, haben sich die Beträge im Jahr 2022 mit ca. EUR 14 Mio. mehr als verdoppelt.
Dieser Anstieg hat mehrere Gründe. Einer davon sind frühere Gerichtsentscheidungen: In Präzedenzfällen wurden angemessene Stundensätze für die Pflege und die klinische Versorgung festgelegt, aber auch Zahlungen wie Urlaubsgeld für angestellte Pflegekräfte.
Die Rentengesetzgebung im Vereinigten Königreich hat die direkte Beschäftigung von Pflegekräften verteuert, und auch das Case Management von Pflegesystemen wird zunehmend von den Gerichten befürwortet. Zusätzliche Belastungen durch Therapien für Geschädigte, therapeutische Einrichtungen wie Hydrotherapie-Pools und umfangreiche Listen von Geräten/Hilfsmitteln wie elektrische Rollstühle, Exoskelettvorrichtungen und hochentwickelte Betten sind zur Norm geworden, während die damit verbundene Reduzierung der Betreuungskosten von den Gerichten nicht berücksichtigt wird. Trotz einer Fülle von Hilfsmitteln sind doppelte oder sogar dreifache Pflegeprogramme immer häufiger anzutreffen.21
In Italien wird von jeder Kfz-Haftpflichtversicherungsprämie ein Quellenabzug i. H. von 10,5 % zugunsten des staatlichen Gesundheitsdienstes vorgenommen (im Jahr 2020 belief sich der Anteil auf etwa EUR 1,3 Mrd.). Das bedeutet, dass dieser in Zusammenarbeit mit regionalen Behörden und häufig auch mit privaten Unternehmen die meisten der von Schwerverletzten benötigten Hilfsdienste erbringt. Daher wird für die Entschädigung der Kosten künftiger Pflegeleistungen in Italien häufig ein Pauschalbetrag in einem Vergleich ausgehandelt.
Darüber hinaus gibt es weitere Unterschiede zwischen den nationalen Systemen hinsichtlich der Berechnungsmodalitäten für die Kosten der künftigen Pflege und der Art der Auszahlungsweise. In Frankreich gibt es Rahmenvorgaben, die häufig mit den Schadentabellen des jeweiligen Gerichts veröffentlicht werden, und Informationen wie die Mindestanzahl von Tagen oder Stunden zur Gewährleistung einer angemessenen Pflege, die Stundensätze und den Indexierungssatz der Leistung sowie etwaige Diskontierungsfaktoren, die im Fall einer vorzeitigen Kapitalisierung zum Tragen kommen, enthalten.
In den drei Ländern mit den höchsten Pflegekosten werden diese i. d. Regel in Form einer Rente erbracht. Die Berechnung der Rente erfolgt streng nach versicherungsmathematischen Grundsätzen, die es erforderlich machen, dass die Versicherer hohe Rücklagen für künftige Leistungen bilden.
In diesem Zusammenhang sind Periodic Payment Orders (PPOs) – eine Form der rentenbasierten Anpassung – in England und Wales von Bedeutung, wo sie bis 2017 zunehmend Verbreitung fanden. Seit der Diskontierungssatz auf - 0,75 % gesenkt wurde, ist die Anwendung von PPOs jedoch drastisch zurückgegangen.22
PPOs sind Entschädigungszahlungen bei Personenschäden, die nicht nur einen Pauschalbetrag für Schmerzensgeld und vergangene finanzielle Verluste vorsehen, sondern auch regelmäßige indexgebundene Zahlungen für einen Teil oder die gesamten zukünftigen finanziellen Einbußen. In diesem Zusammenhang bestehen Langlebigkeits‑, Inflations- und Volatilitätsrisiken, die vom Geschädigten auf den Schadensersatzpflichtigen und damit auf den Versicherer (und Rückversicherer) übertragen werden.
Ein weiteres wesentliches Element ist die Art und Weise, wie die Pflegeleistungen in einigen dieser Länder bewertet und organisiert werden. Insbesondere im Vereinigten Königreich, in Frankreich und Deutschland werden die Bedürfnisse der Verletzten von Pflegeexperten festgestellt und begutachtet, die alle Aspekte des Bedarfs prüfen, um die bestmögliche Rehabilitation sowie die soziale und berufliche Wiedereingliederung zu gewährleisten.
In Italien hingegen ist dieser umfassende und proaktive Ansatz bei Pflegefällen noch nicht sehr verbreitet. Case Management erweist sich oft als schwierig und komplex, was häufig zu Rechtsstreitigkeiten führt, in deren Verlauf die Auswirkungen der Verletzungen auf das soziale, berufliche und familiäre Umfeld nicht grundlegend geprüft werden. Infolgedessen wird die Notwendigkeit eines angemessenen Managements nicht sorgfältig daraufhin untersucht, welche Leistungen der nationale Gesundheitsdienst und die i. d. Regel beteiligten lokalen Behörden erbringen können.
In Italien erhalten Geschädigte viel Unterstützung durch die Familie, und diese Leistungen werden bis zu einem gewissen Grad als Ersatz der immateriellen Schäden an den Geschädigten und seine engsten Familienangehörigen gezahlt. Während es sich in Italien dabei um eine Ersatzleistung für immaterielle Schäden handelt, wird in Frankreich und Deutschland die Entschädigung für die Kosten der künftigen Pflege fast genauso berechnet und gezahlt wie der Vermögensschaden, auch wenn die Hilfe von einem oder mehreren Familienangehörigen des Geschädigten erbracht wird.
Diese vorliegende Untersuchung beleuchtet einige wichtige Punkte, die berücksichtigt werden müssen. Bei tödlichen Verletzungen – abgesehen vom Sonderfall Italien mit seinen hohen immateriellen Schäden, der mit keinem anderen europäischen System vergleichbar ist – ist das Einkommen des Geschädigten und damit der wirtschaftliche Schadensersatzanspruch der Faktor, der die Entschädigung in die Höhe treibt.
Bei schweren Verletzungen haben die Kosten der medizinischen Versorgung und Rehabilitation sowie für die laufende und künftige Betreuung einen großen Einfluss auf die Höhe der Schadensersatzansprüche. In diesem Szenario spielen die Besonderheiten der einzelnen nationalen Gesundheits- und Sozialversicherungssysteme eine wichtige Rolle, die beim Vergleich der von den jeweiligen Rechtssystemen zuerkannten Beträge stets berücksichtigt werden müssen.
Infolgedessen haben die einzelnen Systeme seit unserer ersten Untersuchung im Jahr 2013 der finanziellen Komponente des Schadens immer mehr Aufmerksamkeit gewidmet.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass trotz des von der EU bekundeten Willens zur Harmonisierung immer noch große Unterschiede zwischen den untersuchten Ländern bestehen, die hauptsächlich auf Standardpraktiken, Rechtsvorschriften und die Rechtsprechung zurückzuführen sind. Auch knapp ein Jahrzehnt nach unserer ersten Analyse im Jahr 2013 sind keine relevanten Änderungen in Richtung Harmonisierung zu verzeichnen.
Eine einheitliche oder ähnliche Ausgleichspraxis für alle europäischen Systeme ist aus heutiger Sicht nur schwer vorstellbar. Isolierte Vergleiche einzelner Anspruchspositionen und Aspekte der verschiedenen Entschädigungssysteme führen jedenfalls oft nicht zu einem ausreichenden Verständnis der Zusammenhänge und können dadurch erhebliche Verwirrung stiften.
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