OBEN
Risikoadäquates Pricing biometrischer Produkte wie der Berufsunfähigkeitsversicherung ist im Sinne der Versicherten wie der Versicherer: Es ist als Kalkulationsprinzip entscheidend, um faire und wettbewerbsfähige Prämien anbieten zu können und möglicher Antiselektion entgegenzuwirken.
Insbesondere beinhaltet dieses Prinzip die Differenzierung nach Risikomerkmalen. In der BU ist diesbezüglich der Beruf seit Jahren im Fokus: Wohl in keinem anderen Land ist die Berufsgruppendifferenzierung in der Invaliditätsversicherung so weit fortgeschritten wie in Deutschland. Wie groß der Einfluss des Berufs auf die BU‑Schadenerfahrung ist, wird in der Herleitung der Tafel DAV 2021 I, die auf den Daten der drei großen Rückversichererdatenpools von Gen Re, Munich Re und Swiss Re basiert, erneut sehr deutlich: So haben Ausbauberufe gegenüber Ingenieuren ein fast sieben Mal so hohes Risiko, berufsunfähig zu werden.1 Allerdings scheint die Berufsgruppendifferenzierung allmählich ausgereizt, und teilweise werden datenbasierte Einschätzungen von eher marketinggetriebenen Wünschen nach einer günstigen Prämie für gewisse Zielgruppenberufe, wie zum Beispiel für kaufmännische Angestellte, überschattet.
Haben wir dabei andere Kriterien wie den Raucherstatus zu sehr aus dem Blick verloren?
Außerhalb von Deutschland werden Invaliditätsprodukte, die Einkommensschutz bieten sollen, insbesondere in angelsächsischen Märkten verkauft. In Australien, Südafrika oder dem Vereinten Königreich waren schon vor über zehn Jahren Invaliditätsprodukte mit einer Differenzierung nach dem Raucherstatus üblich, während sie damals in Deutschland noch wenig verbreitet waren. Zuschläge für Rauchende liegen international oft im Bereich von 20 % oder mehr.
Wie ist die aktuelle Situation in Deutschland? Etwa drei Viertel der BU‑Anbieter differenzieren inzwischen nach dem Raucherstatus – insofern hat der Markt entschieden, dass eine Differenzierung wohl grundsätzlich sinnvoll ist. Über die Höhe der angemessenen Zuschläge herrscht allerdings keinesfalls Einigkeit, sie reicht im Beispiel von Architekten von Werten im kleinen einstelligen Prozentbereich bis über 20 %, vgl. Abbildung 1.
Wie sieht hier ein bester Schätzer aus? Bevor wir das genauer betrachten, sollten wir klären, was wir unter Raucher verstehen: nämlich diejenigen Personen, die die Frage in Box 1 bejahen müssen. Die Formulierung dieser Frage, bei der nicht nur Tabakkonsum unter Feuer einbezogen ist, ist auch unsere Empfehlung für den BU‑Antrag.
„Haben Sie innerhalb der letzten zwölf Monate Zigaretten oder andere Tabakwaren geraucht, dazu zählt auch die Benutzung von elektrischen Rauchgeräten und Verdampfern (z. B. E‑Zigaretten, E‑Zigarren, E‑Shishas, IQOS), oder haben Sie in diesem Zeitraum Nikotin in anderer Weise (z. B. Nikotinpflaster, Nikotinkaugummi, Schnupf- oder Kautabak) zu sich genommen?“
Das Kennzeichen „Raucherstatus“ wird in der selbstständigen BU überhaupt erst seit einigen Jahren erfasst und ist daher insbesondere bei älteren Policen und damit auch für höhere Alter selten verfügbar. Bei BUZ-Policen, die an eine Risikolebenspolice gekoppelt sind, ist die Lage teilweise etwas besser, da für Lebensversicherungstarife schon länger nach dem Raucherstatus differenziert wird.
Auch wenn damit eine allein auf direkter BU‑Schadenerfahrung basierende Einschätzung des erhöhten BU‑Risikos von Rauchern nicht möglich ist, hat sich die Datenlage in den vergangenen Jahren deutlich verbessert: So zeigen Analysen zu Anteilen von Rauchern in Versichertenbeständen, wie wir sie im BU‑Pool und im Sterblichkeitspool der Gen Re durchführen, dass diese Raucheranteile für Versichertenportfolios deutlich unter denen in der Bevölkerung liegen.
Gute Informationen liegen auch zu den BU‑Ursachen vor (vgl. Abbildung 2). Beim Splitten eines Aggregattarifs in Inzidenzen für Nichtraucher und für Raucher berücksichtigen wir dabei Ursachen, die stark vom Rauchverhalten abhängig sein sollten: Das ist, wenig überraschend, bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Krebs der Fall. Beides sind Krankheitsgruppen, für die die Gen Re wertvolle Erkenntnisse zu Raucher-Übermorbiditäten aus der Critical-Illness-Versicherung gewonnen hat. Neue Studien zeigen, dass außerdem psychische Erkrankungen häufiger bei Rauchern auftreten. Für diese drei BU‑Ursachen betrachten wir die Übermorbiditäten im Folgenden genauer.
Den größten Anteil innerhalb der Gruppe der Herz-Kreislauf-Erkrankungen machen in der Invaliditätsversicherung Herzinfarkt und Schlaganfall aus.2 Gen Re-Analysen aus der Critical-Illness-Versicherung und weitere Studien aus angelsächsischen Ländern zeigen, dass der Einfluss des Rauchens auf diese Erkrankungen vor allem in jungen Altern hoch ist. Bei Krebs dagegen – basierend ebenfalls auf Erfahrungen aus der CI‑Versicherung sowie weiteren Studien aus dem Vereinten Königreich, Kanada und Deutschland – macht sich der negative Einfluss des Rauchens erst ab Alter 40 bemerkbar (vgl. Abbildung 3).
Bei den psychischen Erkrankungen als Invaliditätsursache dominieren affektive Störungen (also insbesondere Depressionen) sowie neurotische, Belastungs- und somatoforme Störungen (insbesondere Angststörungen). Eine aktuelle deutsche Studie3 sieht hier eine Übermorbidität von 20 % (Depressionen) bzw. 22 % (Angststörungen) für Raucher. Gestützt werden diese Zahlen durch weitere internationale Studien,4 die zudem für weitere psychische Erkrankungen noch höhere Übermorbiditäten für Raucher beobachten, sodass ein alters- und geschlechtsunabhängiger Faktor von 1,2 noch als vorsichtige Schätzung für die Übermorbidität angesehen werden kann.
Insgesamt erlauben die vorliegenden Daten damit einen Split der BU‑Eintrittswahrscheinlichkeiten in solche für Raucher und Nichtraucher. Dieser Split kann schließlich – u. a. wegen gegenläufiger Effekte von Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkankungen – altersunabhängig dargestellt werden, jedoch wegen unterschiedlicher Raucheranteile nicht unabhängig von der Berufsgruppe.
Auch den Einfluss auf die übrigen für die Kalkulation einer BU notwendigen Wahrscheinlichkeiten, also die Reaktivierung, die Invalidensterblichkeit und die Aktivensterblichkeit, haben wir untersucht. Der Einfluss auf die Prämie ist allerdings sehr gering, sodass der resultierende Prämienspreiz komplett auf die Inzidenzen umgelegt werden kann. Folglich kann bei Reaktivierung, Invaliden- und Aktivensterblichkeit weiterhin mit einer Aggregattafel kalkuliert werden. Die Ergebnisse für die Ab- und Zuschläge auf einen Aggregattarif sind in Abbildung 4 für vier Berufsgruppen skizziert. Es fällt auf, dass der Spreiz in risikoarmen Berufsgruppen zwar größer ist, die Nichtraucherabschläge jedoch geringer als in risikoreicheren Berufsgruppen – Grund dafür sind geringere Raucheranteile.
Zurück zu unserer Eingangsfrage: Ist die Gruppe der Raucher verlustträchtig in der BU? Jedenfalls spricht nach aktuellen medizinischen Erkenntnissen und aktuariellen Analysen alles für eine Differenzierung nach dem Merkmal „Raucherstatus“. Vergleicht man jedoch die am Markt verbreiteten Prämienzuschläge am Beispiel von Architekten (Abbildung 1) mit den Empfehlungen der Gen Re (Abbildung 4), so fällt auf, dass aktuell ein Teil der Anbieter einen eher geringen Spreiz verwendet. Auch wenn die Preisunterschiede nach dem Rauchverhalten in der BU deutlich geringer sind als bei Risikolebensprodukten, kann dies bei zu gering angesetztem Spreiz langfristig zu den klassischen Folgen der Antiselektion und entsprechendem Druck auf die Margen führen: Mehr Raucher drängen in den Bestand, während Nichtraucher nicht der adäquate Nachlass auf die Prämien gewährt werden kann und diese besseren BU‑Risiken sich an andere Anbieter wenden.
Die Akzeptanz von Verbrauchern (und jenen, die sich als ihre Schützer begreifen) ist sicherlich nicht bei allen Merkmalen, die in der Preisgestaltung eine Rolle spielen können, hoch. Anders beim Raucherstatus: Die Gefahren des Rauchens sind in der Gesellschaft hinlänglich bekannt, und ein Belohnen gesunden Verhaltens wird gemeinhin als fair betrachtet. Auch aus diesem Grund sollten wir eine Quersubventionierung zugunsten von Rauchern vermeiden.
Zu einem zeitgemäßen BU‑Tarif gehört eine angemessene Differenzierung nach dem Raucherstatus – wir unterstützen Sie gerne bei der Umsetzung!
Sie ist Bestandteil unserer Unternehmenskultur. Ausschließlich zum Zweck der besseren Lesbarkeit verzichten wir in den Beiträgen auf genderspezifische Schreibweisen. Die gewählte männliche Form schließt zugleich weibliche, männliche und diverse Personen ohne Wertung mit ein.
